WG94 – Briefentwurf und Fragment einer Briefreinschrift an Alma Mahler
Berlin, Sonntag, 6. November 1910 und kurz davor
[Briefentwurf]
Gelbliches
Pauspapier
für Kohle
___________
Ich habe kaum Ruhe zum
Schreiben, aber ich will nicht
daß Dich durch Schweigen dasselbe
Leid ereilt wie mich und
deshalb zwinge ich mich
meine Tagesläufe aufzuschreiben
wie ein treuer Chronologe
_____
Bis jetzt hat mir Dein
Schweigen immer irgend
einen großen Schmerz gebracht
_____
Das Leben ist zerbrechliches
Geräte, mein Freund, sagt der
Koran und sieh das ist. Und
dies hab ich erkannt.
Fr B. schr[eiben]
_______
Ich blicke sonder Zweifel in die
Zukunft unserer Verbindung
Ich muß es erreichen, mit Dir zu leben
_____
Ich lese so viel zw d Zeilen
Gespräche bei Dir über .
ein Durchringen, Du hast
nun die Wege eingestellt.
Will vieles wissen
Wie geht es Euch? Ob gefragt
hat. Meine Briefgesch[ichte]?
Die \gegenseitige/ Achtung u Bewunderung
Laß uns viel schreiben
Nie bisher war mir ein
ungestörter Umgang vergönnt
so laß uns einen weitläufigen
ungestörten Briefverkehr
immer besser verstehen
lernen
Ich liebe Dich mit
meinem ganzen Wesen
Sind die Briefe
richtig in Deine Hände ge-
langt. Dies ist der 7.
der 5. ging direkt Savoy-
Hotel
Hast Du redlich versucht,
ob Du mich entbehren kannst
und Dir recht sehr dabei
mißtraut?
Bleibe mir, ich knie
vor Dir nieder in Gedanken
und bitte Dich darum
In mir ist ewige
Liebe ohne Maß – wann
werde ich Dich auch besitzen
und bei Dir sein und
mich einwohnen in Deinem
Herzen
Ich schreibe dir alles, den[n] ich
hege den Wunsch, ganz so von
Dir gekannt zu werden wie
ich bin. Man vergißt doch nicht
eine ganz neue Art des
Lebens und die Veranlassung
dazu.
Du legst mich in immer
festere, süßere Ketten, ich gehöre
mir nicht mehr im entferntesten
ein geheimnisvoller Zauber geht
von Dir aus, der mich immer
fester bannt.
Es ist mir als hätte den
Schatz der in Dir ruht, noch
niemand sehen können, da
Du ihn verbargst
Deine behauptete Unschuld
_______
Die Hoffnung erquickt mich sehr
_______
Die Seele offen u dürstend
nach dem Allerheiligsten
_____
nur mit Dir werde ich ein
Ganzes ausmachen
[Fragment einer Briefreinschrift]
7. Brief
Wilmersdorf b/Berlin
Sonntag. 6. Nov 10.
Mein Herz,
die Erde ist mir schwer – ich bin nachdenklich
gestimmt, weil Du stumm bleibst und
unheimliches Schweigen um mich breitest.
Jedesmal, wenn Du längere Zeit keine
Nachricht sendest stand mir ein neuer
bitterer Weg bevor – so fürchte ich mich!
„Das Leben ist gebrechliches Geräte sagt der
Koran und sieh das ist es; und dies hab
ich erkannt.“ Ich habe schwere Gedanken
und finde kaum die Ruhe zum Schreiben,
aber ich will nicht, daß Dich durch Schweigen
derselbe Kummer trifft und werde Dir
meine Tagesläufe schildern, wie ein
getreuer Chronologe, selbst ohne zu wissen,
ob Dich überhaupt meine Briefe erreichen.
Apparat
Überlieferung
, , , , , , , , , .
Quellenbeschreibung
5 Bl. (5 b. S.) – Papierbogen; Fragment einer Briefreinschrift (): Tinte.
Druck
Erstveröffentlichung.
Korrespondenzstellen
keine.
Datierung
In diesem Fall liegen sowohl Entwurf als auch unvollständige Reinschrift eines Briefes vor, wobei WG im Entwurf bemerkte Dies ist der 7. [Brief] und die Reinschrift am Kopf des Blattes ebenfalls die Bemerkung 7. Brief aufweist. Inhaltlich findet sich zwischen Entwurf und Reinschrift zwar nur eine Stelle, die in beiden Schreibstadien auftaucht, nämlich das -Zitat. Dieses wurde jedoch im exakt gleichen Wortlaut wiedergegeben: Das Leben ist zerbrechliches Geräte, mein Freund, sagt der Koran und sieh das ist. Und dies hab ich erkannt. Die Reinschrift in Tinte wurde dabei von WG eigenhändig auf den 6. November datiert, weshalb der Entwurf auch ungefähr zu diesem Datum entstanden sein muss. Die Liste mit Absendedaten seiner Briefe (WG92) vermerkt als Datum zum 7. Brief den 8. November 1910. Es ist sehr wahrscheinlich, dass WG beim Verfassen von WG97 AM43 erhielt, der am 27. Oktober 1910 verschickt worden war (s. Postlaufzeiten).
Übertragung/Mitarbeit
(Marie Apitz)
(Tim Reichert)
Gelbliches Pauspapier für Kohle – Arbeitsnotizen.
Das Leben […] ich erkannt. – gab hier eine Rede aus dem Drama von wieder. Die Deutsche Sage in fünf Akten wurde 1902 im Wiener Burgtheater uraufgeführt und erschien als Buch im selben Jahr im Fischer-Verlag ().
[Fragment einer Briefreinschrift] – Das letzte Blatt von WG94 ist in Tinte verfasst, weist eine Anrede, ein Datum und einen Ort auf und scheint der Beginn eines Briefes zu sein. Sehr wahrscheinlich ist, dass während des Verfassens AM43 vom 27. Oktober 1910, ersten Brief aus den USA, erhielt, sein Schreiben unterbrach und dann einen neuen Brief verfasste, s. Datierung.